Dienstag, 16. Januar 2018

Can – Tago Mago




Can – Tago Mago


Besetzung:

Damo Suzuki – vocals
Holger Czukay – bass
Michael Karoli – guitar, violin
Jaki Liebezeit – drums, double bass, piano
Irmin Schmidt – organ, electric piano, vocals on "Aumgn"


Label: Spoon Records


Erscheinungsdatum: 1971


Stil: Krautrock, Psychedelic Rock, Experimental Rock


Trackliste:

1. Paperhouse (7:28)
2. Mushroom (4:03)
3. Oh Yeah (7:22)
4. Halleluhwah (18:32)
5. Aumgn (17:36)
6. Peking O (11:37)
7. Bring Me Coffee Or Tea (6:46)

Gesamtspieldauer: 1:13:29




„Tago Mago“ heißt die dritte Veröffentlichung der Kölner Band Can und ist gleichzeitig ihr zweites offizielles Studioalbum. Erschienen ist die Platte ursprünglich als Doppelalbum im Februar des Jahres 1971 und hinterlässt bis heute Spuren bei diversen Musikern und auch den Hörerinnen und Hörern. Bei Can hatte sich etwas getan. Der Japaner Damo Suzuki war nun festes Mitglied der Formation geworden, der ursprüngliche Sänger Malcolm Mooney hatte die Band verlassen. Was dann mit „Tago Mago“ folgte, war an Wucht und Intensität kaum mehr zu überbieten.

Ich kenne nichts Vergleichbares, nichts, was wie „Tago Mago“ klingt. Echt Nichts. Ist das jetzt wirklich noch Musik? Ganz sicher kann man sich dabei nur an manchen Stellen des Albums sein. Irgendwie fängt alles noch ganz harmlos an. Die ehemalige Seite 1 der Platte enthält psychedelisch angehauchten Krautrock, zumeist nicht zu melodiös und eingängig, jedoch noch nicht zu weit weg von der „Norm“. „Paperhouse“ geht dabei sogar ziemlich schnell ins Ohr, „Mushroom“ klingt schräg bis atonal und bei „Oh Yeah“ wird der Text rückwärts eingesungen. Seltsam ist das alles irgendwie schon hier, aber eben noch nicht zu weit entfernt vom Konventionellen. Can experimentieren eben ganz gerne, warum also soll man ein Lied nicht auch mal rückwärts einsingen? Klingt doch spannend.

Dann folgen allerdings die ehemalige zweite und dritte Plattenseite des Albums und danach scheint alles irgendwie anders zu sein. Musik ist nicht mehr nur Musik. Musik ist Geräuschkulisse geworden, falsch und mystisch klingend, sich unfassbar merkwürdig, zum Teil sich grausam und zerstörerisch anhörend. Abschnitte, die auf Musik und ein Lied hinweisen gibt es, jedoch stehen diese scheinbar nicht im Vordergrund der Stücke „Halleluhwah“ und „Aumgn“. „Halleluhwah“ wirkt allerdings noch durch einen nie enden wollenden Rhythmus, der zwar durch kurze Einschübe selten unterbrochen wird, jedoch sofort wieder aufflammt und stoisch weiter seine Kreise zieht. Das Lied vibriert, stampft und neben all jener Rhythmik generieren sich seltsame Laute, sonderbare Geräusche, schräge Töne und schließlich zur Krönung noch eine Art zunächst gelangweilter Gesang, der später zu allem Überfluss auch noch falsch klingt, sodass man alles nur noch sehr schwer zusammen bekommt. Monotonie hüllt einen dabei ein und lässt einen nicht mehr los. Nur dieses Geschrei versucht anscheinend Hörerinnen und Hörer daraus herauszulösen, schafft es jedoch nicht mehr. Verloren und gefangen.

Nachdem „Halleluhwah“ verklungen ist, folgt mit „Aumgn“ das zweite fast zwanzigminütige Stück auf „Tago Mago“. Mag man zu Beginn der Nummer noch von relativ sphärischer Musik sprechen können, so ändert sich dieser Eindruck immer mehr. Musik und Noten wandeln sich immer mehr zu Geräuschen, zu bedrückenden Stimmungen, zu eigenartigen Klängen. Brutal konsequent ziehen Can das bei diesem Stück durch. Es klingt falsch, beklemmend, kakophonisch. Kann man hier wirklich noch durchgängig von Musik sprechen oder sind das zumindest zum Teil nur noch Klanggebilde, losgelöst von jeglicher Struktur und Form? Wohl eher Letzteres trifft auf diese Art der akustischen Befeuerung zu. Sicherlich einzigartig in dieser Konsequenz. Auch das folgende „Peking O“ entlässt einen noch nicht in den Frieden seiner Umwelt. Nun ist es zumeist der Gesang des Damo Suzuki, der einen aus gewohnten Hörerlebnissen herausreißt. Nichts scheint hier mehr herkömmlich, nichts mehr gewöhnlich zu sein oder zu klingen.

Irgendwie dann doch versöhnlich, mit dem Stück „Bring Me Coffee Or Tea“, klingt „Tago Mago“ schließlich aus. Das letzte Lied ist nun tatsächlich wieder ein Lied, hat Struktur, sogar eine Melodie ist da herauszuhören. Auf den allermeisten Platten wäre dieses Stück furchtbar „abgefahren“, hier jedoch holt es einen ab, fängt Hörerin und Hörer wieder ein und führt diese zurück in die Realität. Ein versöhnlicher Abschluss.

Fazit: Oh nein, selbstverständlich ist „Tago Mago“ keine Musik für den Massenmarkt und vielleicht muss man sogar ein musikalischer „Freak“ sein, um diese Platte überhaupt durchhören zu können. Doch „Tago Mago“ ist etwas Besonderes, etwas, was es sonst so nicht gibt. Hier wurden definitiv neue Wege beschritten, die in dieser Konsequenz danach wohl auch nicht mehr begangen wurden. Ich könnte dieses Album niemals zu meinem Lieblingsalbum küren, jedoch hinterlässt die Scheibe Spuren, sehr viele Spuren. Ich fühle mich durch „Tago Mago“ bewegt, das schafft bei Weitem nicht jede Musik. Elf Punkte.

Anspieltipps: Paperhouse, Halleluhwah