Montag, 31. August 2020

Motorpsycho – The All Is One




Motorpsycho – The All Is One


Besetzung:

Hans Magnus Ryan – guitars, vocals, piano
Tomas Järmyr – drums, percussion, vocals, mellotron
Bent Sæther – bass, vocals, guitars, mellotron


Gastmusiker:

Reine Fiske – guitars, mellotron
Lars Horntveth – guitars, clarinette, saxophone
Ola Kvernberg – violin


Label: Stickman Records


Erscheinungsjahr: 2020


Stil: Progressive Rock, ProgMetal, Alternative Rock


Trackliste:

1. The All Is One (8:50)
2. The Same Old Rock (One Must Imagine Sisyphus Happy) (5:70)
3. The Magpie (5:36)
4. Delusion (The Reign Of Humbug) (2:44)
5. N.O.X. I: Circles Around The Sun Part 1 (9:10)
6. N.O.X. II: Ouroboros (8:22)
7. N.O.X. III: Ascension (3:37)
8. N.O.X. IV: Night Of Pan (15:32)
9. N.O.X. V: Circles Around The Sun Part 2 (5:54)
10. A Little Light (2:18)
11. Dreams Of Fancy (9:36)
12. The Dowser (2:45)
13. Like Chrome (5:04)

Gesamtspieldauer: 85:38



Und auch im Jahr 2020 veröffentlichen die fleißigen Norweger von Motorpsycho wieder ein neues Studioalbum. Lässt man Mini-LPs und Kompilationen weg, müsste es sich bei „The All Is One“ tatsächlich bereits um das 23. Studioalbum der Band handeln, welches am 28. August auf dem Plattenlabel Stickman Records veröffentlicht wurde. Das Album stellt den dritten Teil der sogenannten „Gullvåg-Trilogie“ dar. Håkon Gullvåg ist jener Künstler, durch dessen Bilder die Band Inspiration für ihre Musik erhält und dessen Werke auch die drei Cover der Alben „The Tower“, „The Crucible“ und eben diesem „The All Is One“ zieren. 

Auf „The All Is One“ befindet sich mit fast 86 Minuten Spielzeit mehr als doppelt so viel Musik, wie noch auf dem Vorgängeralbum „The Crucible“. Nicht nur deswegen  erinnert dieses neue Album sehr viel eher an die 2017er Veröffentlichung „The Tower“ als an „The Crucible“. Auch die Musik scheint sich immer wieder auf dieses Album zu beziehen. Besonders deutlich wird dies beim Titel „N.O.X.“, der mit seinen insgesamt fünf Teilen auf eine Spieldauer von fast 43 Minuten kommt. Immer wieder glaubt man beim Hören an „The Tower“ und dabei besonders an das Lied „Ship Of Fools“ erinnert zu werden.

Motorpsycho stehen für mich für durchaus besondere Musik. Wenn es ein „Markenzeichen“ für die Musik der Norweger gibt, dann sind es Lieder, die sich langsam entwickeln und steigern. Dabei wirken diese Stücke zum Teil fast schon hypnotisierend, da ein Thema redundant wiederholt und in diesen Zyklen nur leicht variiert wird. Zeit scheint dabei keine Rolle zu spielen, denn Motorpsycho geben den Titeln genau diese sich zu entwickeln und mittels vieler Wiederholungen ihre ganz eigene, fesselnde Wirkung zu entfalten. All dies bekommt man auf „N.O.X.“ in Perfektion serviert – zusammen allerdings auch mit eher sphärischen Abschnitten, die Platz zum Luftholen lassen. So klingt Progressive Rock zu Beginn des dritten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert.

Und die restlichen acht Lieder, von denen sich vier vor und vier nach diesem zentralen Stück auf „The All Is One“ befinden? Diese Nummern decken viele Genres des Rock ab, streifen sogar mal den Folk, bewegen sich im Alternative Rock und münden zum Teil ebenso wieder im Progressive Rock. Die Musik klingt jetzt zumeist entspannter, immer wieder sehr eingängig und oftmals konventioneller, wenn sich Motorpsycho nämlich im Alternative Rock bewegen. Spannend und gelungen klingt dies ebenso, vielleicht nicht ganz so intensiv wie in den fünf „N.O.X.“-Abschnitten, hörenswert allerdings allemal.

Fazit: Wer Motorpsycho für ihre ausufernden und sich entwickelnden Lieder liebt, die oder der werden auf „The All Is One“ definitiv fündig werden. Hypnotisierend und progressiv lädt auf dem Album vor allen Dingen das zentrale Stück „N.O.X.“ dazu ein, ganz tief in diese Musik einzutauchen und sich fallen zu lassen. Da sich auch die  restlichen Lieder lohnen gehört zu werden, ist „The All Is One“ eine klare Empfehlung für alle Motorpsycho-Fans und all jene, die gerne mal abseits der Charts Musik hören und den Rock lieben. Dreizehn Punkte.

Anspieltipps: N.O.X. II: Ouroboros, N.O.X. IV: Night Of Pan



Samstag, 29. August 2020

Fiddler’s Green – 25 Blarney Roses - Live In Cologne




Fiddler’s Green – 25 Blarney Roses - Live In Cologne



Fiddler’s Green aus Erlangen sind eine der besten Live-Bands in Deutschland. Ihre Konzerte sind schweißtreibende Partys für Musiker und Publikum gleichermaßen. Mit ihrem Irish-Speed-Folk haben sie sich eine treue Fangemeinde in allen Teilen der Republik erspielt.

Gab es früher für die Band noch weiße Flecke auf der Landkarte, ist das nach 25. Jahren Bandgeschichte längst Vergangenheit. Egal, wo die Jungs aus Erlangen auftreten, es wird gefeiert. Ihr Kölner E-Werk Konzert wirkt wie ein Heimspiel im Erlanger E-Werk. Interessant bei den Fiddler‘s ist, dass sie es schaffen, immer wieder neue, junge Fans zu gewinnen.

Wenn man sich die Bilder aus vergangenen Tagen ansieht, dann scheint es, dass ihr Publikum nicht altert. Das spricht für die Band, die diese spezielle musikalische Sprache gefunden hat, die Generationen verbindet und begeistert.

Freitag, 28. August 2020

Pain Of Salvation – Panther




Pain Of Salvation – Panther


Besetzung:

Daniel Gildenlöw – lead vocals and lots of stuff
Johan Hallgren – guitar and vocals
Léo Margarit – drums and vocals
Daniel Karlsson – keyboards, guitars and vocals
Gustaf Hielm – bass and vocals


Label: InsideOut Music


Erscheinungsjahr: 2020


Stil: ProgMetal


Trackliste:

1. Accelerator (5:31)
2. Unfuture (6:46)
3. Restless Boy (3:34)
4. Wait (7:04)
5. Keen To A Fault (6:01)
6. Fur (1:34)
7. Panther (4:11)
8. Species (5:18)
9. Icon (13:30)

Gesamtspieldauer: 53:32




„Panther“ heißt das elfte Studioalbum der schwedischen Band Pain Of Salvation, welches am 28. August 2020 auf dem Plattenlabel InsideOut Music erscheint. Nach den musikalischen Ausflügen Anfang der 10er Jahre hin zum Blues angehauchten Rock, dann weiter Mitte des Jahrzehnts zum Folk, kehrte die Band um Daniel Gildenlöw mit dem 2017er Album „In The Passing Light Of Day“ schließlich wieder zum ProgMetal zurück. Und diese Rückkehr zu den musikalischen Wurzeln von Pain Of Salvation kann man auch auf „Panther“ hören.

Band-intern gab es im Vergleich zum Vorgängeralbum allerdings eine Veränderung. Gitarrist Ragnar Zolberg hat die Band wieder verlassen, der an den letzten beiden Alben mitgewirkt hatte. Dafür ist nun erneut Johan Hallgren an der Gitarre und mit seinem Hintergrundgesang zu hören, der seit dem zweiten Album bis zur 2011er Veröffentlichung „Road Salt Two“ bereits Teil der Band war.

„Panther“ ist ein Konzeptalbum, welches sich inhaltlich mit den Konflikten und Widersprüchen zwischen sogenannten „normalen“ Menschen und jenen, die ganz anders ticken, auseinandersetzt. Daniel Gildenlöw vergleicht den Inhalt des Albums dabei mit einem Film. Die Lieder wären dabei Szenen aus einer Stadt. Einer Stadt, die von Hunden und Panthern bevölkert ist. Dabei entsprechen die Hunde diesen „normalen“ Menschen, die Panther jenen, die eben anders sind.

Musikalisch gesehen ist „Panther“ ein Album, welches mit dem ersten Mal des Hörens bereits sehr gut ins Ohr geht. Einige Passagen erschließen sich einem zwar erst mit dem wiederholten Anhören, doch insgesamt ist „Panther“ ein sehr eingängiges und melodiöses Album geworden. ProgMetal hört man auf „Panther“ in nie sehr „harter“ Ausprägung. Immer wieder wechseln sich härtere und rockige Passagen mit sanften Pianoläufen oder von der akustischen Gitarre dominierten Abschnitten ab. Mal klingt es sphärischer, mal sehr geradlinig, fast schon allzu konventionell. Die Tempi variieren laufend, die Rhythmen generieren sich plötzlich krumm, dann wieder gerade, schnell, unkompliziert und schnurstracks nach vorne preschend. Für Abwechslung ist dabei jede Menge gesorgt, denn immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken beziehungsweise zu erhören.

Ich höre auf „Panther“ jede Menge Höhepunkte. Da ist jenes „Wait“, ausgestattet mit einer wunderschönen Melodie, welche immer wieder aufgriffen, leicht variiert und  gesteigert wird. Das nachfolgende „Keen To A Fault“ startet sehr elektronisch, enthält Abschnitte, in denen neben dem Gesang die akustische Gitarre im Vordergrund steht und schließlich Passagen, die wunderbar rocken. Beim Titellied hört man  Daniel Gildenlöw sogar rappen und auch das passt gut in das Gesamtbild auf „Panther“, auf dem die Abwechslung groß geschrieben wird. Das längste Stück des Albums, der letzte Titel „Icon“, ist schließlich erneut eine sehr kurzweilige Reise, die mit den Atmosphären und Stimmungen spielt, mal laut losdonnert, dann sanft das Ohr umspielt. Ein würdiger Abschluss für dieses Album.

Fazit: „Panther“ ist spannende Abwechslung, die gut ins Ohr geht. Viele musikalische Eindrücke werden auf dem Album bedient, welches nie langweilig oder konstruiert klingt. Wer auf variantenreichen und melodiösen ProgMetal steht, die oder der dürfte mit „Panther“ etwas für sich finden. Dreizehn Punkte.

Anspieltipps: Wait, Keen To A Fault, Panther, Icon



Donnerstag, 27. August 2020

Tim Bowness – Late Night Laments




Tim Bowness – Late Night Laments


Besetzung:

Tim Bowness – vocals, backing vocals, synthesizer 2, 9, samples 2, 9, ukuleles 4, effects 2, 6


Gastmusiker:

Brian Hulse – synthesizers, keyboards, guitars, programmed drums, backing vocals 4
Tom Atherton – vibraphone 1, 4, 5, 6, 9
Richard Barbieri – synthersizers and synthesizer solos 3, 7
Evan Carson – drums and percussion 1, 4
Colin Edwin – double bass 4, 5, 9
Alistair Murphy – dianatron 5
Kavus Torabi – glissando guitar and guitar solo 2, backing vocals 4
Melanie Woods – backing vocals 1, 2, 4


Label: InsideOut Music


Erscheinungsjahr: 2020


Stil: ArtPop


Trackliste:

1. Northern Rain (4:49)
2. I’m Better Now (3:51)
3. Darkline (3:57)
4. We Caught The Light (3:56)
5. The Hitman Who Missed (3:23)
6. Never A Place (4:41)
7. The Last Getaway (4:55)
8. Hidden Life (5:05)
9. One Last Call (4:14)

Gesamtspieldauer: 38:55




„Late Night Laments“ heißt das bereits sechste Solo-Studioalbum des englischen Musikers Tim Bowness, den man hauptsächlich durch seine Zusammenarbeit mit Steven Wilson kennt. Unter dem Bandnamen No-Man hat Tim Bowness zusammen mit eben jenem Steve Wilson bereits seit 1993 Alben veröffentlicht. Hier auf „Late Night Laments“ zeichnet sich Steven Wilson für den Mix des Albums verantwortlich. Und auch wenn Steven Wilson nicht selbst zur Gitarre greift, so sind mit Richard Barbieri am Synthesizer und Colin Edwin am Bass doch noch ehemalige Porcupine Tree Musiker auch hörbar auf dem Album vertreten.

Nun, „Late Night Laments“ klingt erneut melancholisch und sehr sentimental, fast sogar etwas traurig – dies stellt für ein Tim Bowness Album inzwischen sicherlich keine allzu große Überraschung mehr da. Alle neun Titel der Platte bewegen sich in diesem sehr nachdenklichen klingenden musikalischen Bereich. Somit ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Album unter anderem mit “Sammlung stimmungsvoller, atmosphärischer Lieder von großer lyrischer Bandbreite” beworben wird. Das kann man definitiv so unterschreiben. Stimmungsvoll und atmosphärisch dicht klingt alles auf „Late Night Laments“ - jedes einzelne Lied. Dazu sind alle Titel eingängig, erklingen dabei allerdings auch überaus einheitlich und sehr stark aufeinander abgestimmt.

Das hat zum einen natürlich den Vorteil, dass man sich sehr gut auf die Musik des Tim Bowness einstellen und einlassen kann. Einmal darin eingetaucht wird man von stimmungsvollen Klängen umspielt, die die eigene Melancholie oder Sentimentalität bestens zu fördern verstehen. Andererseits klingen diese fast vierzig Minuten leider jedoch auch so einheitlich, dass sie an einem vorbeizuziehen scheinen, ohne dabei allzu große Spuren zu hinterlassen. Jeder Titel erklingt im fast identischen Tempo, jede Nummer transportiert die gleiche Atmosphäre, alles klingt unaufgeregt und  entspannt. Doch so ein paar kleinere Auflockerungen, „Aufregungen“ hätten dem Album dabei sicherlich gut getan.

Somit ist es nicht ganz einfach einen Höhepunkt auf „Late Night Laments“ zu benennen. Ausschläge nach unten gibt es keine, alles verfügt über diese stimmungsvolle Qualität, die Musik innewohnt, die darauf abzielt, das Gefühl anzusprechen. Und der Höhepunkt? Gibt es den doch? Der heißt für mich zumindest „I’m Better Now“. Irgendwie klingt diese Nummer noch ein wenig intensiver und eingängiger und auch spannender.

Fazit: „Late Night Laments“ ist ein stimmungsvolles und atmosphärisch dichtes Album geworden. Wunderbar kann man in die Musik des Tim Bowness eintauchen und sich seinem eigenen Blues hingeben, in Sentimentalität schwelgen oder einfach nur träumen. Allerdings allzu aufregend wird eine Reise mit „Late Night Laments“ definitiv nie werden, dazu ist die Musik des Albums zu einheitlich gehalten. Aber genau diese kleinen „Aufreger“, die hätte ich mir noch für diese Platte gewünscht. Neun Punkte.

Anspieltipps:  I’m Better Now



Dienstag, 25. August 2020

Böhse Onkelz – Nichts ist für die Ewigkeit - Live am Hockenheimring 2014




Böhse Onkelz – Nichts ist für die Ewigkeit - Live am Hockenheimring 2014



Nach neun Jahren Pause, zahlreichen Schlagzeilen außerhalb der Musik, haben sich die Böhsen Onkelz wieder zusammengerauft. Böse Zungen werfen ihnen Geldgeilheit vor, nur deshalb würden sie wieder spielen. Doch die Onkelz sind solche Vorwürfe gewohnt. Sie haben sich in all den Jahren, 35 an der Zahl, nicht verbogen und nicht verbiegen lassen.

Den alten Vorwurf der rechten Band hört man noch immer, aber der ist so verstaubt, wie diese olle Elton John Platte, die ich mal vor etlichen Jahren geschenkt bekommen habe und die seitdem auf dem Regal lieg. Geht gar nicht! Ihre Fans sind ihnen treu geblieben. Das zeigten vor allem auch die beiden Konzerte vom Juni 2014, die nun in einer speziellen Vinyl-Box erschienen sind.

Pro Abend waren 100.000 Fans vor und um die Bühne herum versammelt, um die „Bad Boys“ der deutschen Musikszene zu feiern. Die Mannen um Stephan Weidner sind älter geworden, die Stimme von Sänger Kevin Russell spröder, kratziger und etwas kraftloser. Dennoch, die Band hat noch immer den „Drive“, die Energie und diese kompromisslose Wut im Bauch. Mit dem Hockenheimringkonzert melden sie sich beeindruckend und lautstark zurück. Ihre Kritiker hatten sich zu früh gefreut.

Sonntag, 23. August 2020

Rammstein – In Amerika




Rammstein – In Amerika



Deutsch ist die Sprache von Rammstein. Keine andere deutsche Band hat so viel für den Deutschunterricht in aller Welt getan, wie die Schwermetaller aus Ost-Berlin. Das zeigen sie auf beeindruckende Weise auf ihrer DVD „In Amerika“.

Innerhalb von nur einer halben Stunde war das Madison Square Garden Konzert vom Dezember 2010 ausverkauft. Rammstein riefen, Tausende von Fans kamen, um die wohl weltweit beste Live-Band zu sehen. Rammstein spielen schon längst eine führende Rolle im internationalen Musikzirkus. Sie setzen mit ihren Live-Shows Maßstäbe, spielen in einer eigenen Liga. Und dann sind da die Fans, wie hier in New York City, die lauthals die Texte der Band mitsingen.

Rammstein sind ein Erlebnis, für das es keine Vergleiche gibt. Perfekt organisiert, initiiert, abgespult. Als ich mir „In Amerika“ ansah, musste ich unweigerlich an das erste Rammstein Konzert denken, das ich gesehen habe. Damals spielten sie als Vorband von KMFDM in einem kleinen Club in Palo Alto. Doch nichts außer der Größe der Konzerthallen hat sich verändert. Rammstein sind einmalig geblieben.

Freitag, 21. August 2020

The Tangent – Auto Reconnaissance




The Tangent – Auto Reconnaissance


Besetzung:

Andy Tillison – vocals, keyboards
Jonas Reingold – bass
Theo Travis – sax, flute
Luke Machin – guitar
Steve Roberts – drums


Label: InsideOut Music


Erscheinungsjahr: 2020


Stil: Fusion


Trackliste:

1. Life On Hold (5:31)
2. Jinxed In Jersey (15:57)
3. Under Your Spell (5:44)
4. The Tower Of Babel (4:35)
5. Lie Back & Think Of England (28:16)
6. The Midas Touch (5:55)
7. Proxima (Bonus Track) (12:26)

Gesamtspieldauer: 1:18:27




„Auto Reconnaissance“ heißt das bereits elfte Studioalbum der englischen Band The Tangent. Andy Tillison ist das einzige Mitglied, welches seit Gründung von The Tangent im Jahr 2002 ununterbrochen bei der Band blieb. Frühere Musiker waren unter anderem Gitarrist Roine Stolt von den Flower Kings und Saxophonist David Jackson von Van der Graaf Generator.

Auf „Auto Reconnaissance“ hört man überwiegend Fusion und Jazz Rock, der mit Funk, Soul, Pop, Rock und einer kleinen Prise Progressive Rock angereichert wurde. Größtenteils klingt das sehr locker und frei, irgendwie ungebändigt und manches Mal auch unstrukturiert. Sind die kürzeren Nummern noch ein wenig poppiger geraten und animieren sie auch das eine oder andere Mal zum Mitwippen, so schaffen sie es jedoch nie, ins Ohr zu gehen. Wer auf schöne Melodien steht, die oder der wird hier nicht besonders fündig werden. Aber Melodien? Weiß Gott viel zu überschätzt, vor allen Dingen wenn es um Jazz geht. Da zählen andere Dinge. Beim Jazz geht es um Improvisationen, um Wandel im Titel selbst, um Variationen von speziellen Themen. Doch wollen diese kurzen Stücke auch unter diesem Aspekt nur wenig „zünden”. Ab und an klingt das leider nur nach „Easy Listening Jazz”, Chill Out für den groovigen Typen, der nach einem stressigen Tag im Büro die Beine auf das Sofa legen möchte.

Dass The Tangent um Andy Tillison es auch besser können zeigen sie auf den beiden längeren Stücken „Jinxed In Jersey” und dem fast halbstündigen „Lie Back & Think Of England”. In „Jinxed In Jersey” hört man halb gesprochen, halb eingesungen die Erlebnisse eines New York und New Jersey Besuchs – durchaus humoristisch aufgearbeitet. „Lie Back & Think Of England” geht es, wie der Titel bereits andeutet, um England. Geschichten aus der Heimat werden hier erzählt, verpackt in alle möglichen musikalischen Genres. Selbstverständlich klingt da auch wieder jazziger Rock an, doch eben auch immer wieder die ein oder andere progressive Einlassung – neben Pop und Rock. Viele Melodien werden der Hörerin wie dem Hörer während dieser halben Stunde angeboten, wobei einige eingängige Melodien sich dabei sogar auch im Ohr verfangen. Dieses Stück ist das spannendste Lied auf „Auto Reconnaissance“, da man in einem Titel selten solch eine solche Bandbreite an Stilen und Atmosphären zu hören bekommt. Das ist dann auch kein „Hintergrundgeplänkel“ mehr, auf „Lie Back & Think Of England” muss man sich einlassen, damit es wirklich Spaß macht.

Kurz auch noch eine Anmerkung zum Bonus-Titel „Proxima“, der stilistisch so gar nichts mit dem Rest des Albums zu tun hat – deswegen wohl auch die Eingruppierung als „Bonus Track“. Zunächst klingt das ein wenig nach Ambient, dann nimmt das Stück doch noch Fahrt auf, klingt elektronischer und orientalischer. Eine durchaus gelungene Nummer, die gegen Ende hin immer jazziger und improvisierter klingt.

Fazit: Nicht wirklich alles überzeugt mich auf „Auto Reconnaissance“. Gerade die kürzeren Titel unterhalten deutlich weniger. Oder liegt es vielleicht nur daran, dass mir ein jazziges Gen fehlt? Nun, dieses kommt zumindest bei den längeren Titeln zum Vorschein und bereitet dann eben doch Spaß, indem es mir die Musik erschließt, sie quasi für mich eröffnet. Oder ist es gar der deutlich proggigere Ansatz in der Musik von The Tangent, den man hier hören kann? Dieser Ansatz, der gerade „Lie Back & Think Of England” so hörenswert werden lässt? Vielleicht ist es die Mischung aus all diesen Punkten, die „Auto Reconnaissance“ zwar lohnenswert werden lässt, allerdings eben nicht durchgängig. Zehn Punkte.

Anspieltipps: Lie Back & Think Of England



Mittwoch, 19. August 2020

Various Artists – Music From Barotseland




Various Artists – Music From Barotseland


Label: SWP-Records


Erscheinungsjahr: 2020


Trackliste:

CD1: SWP 059 'Siyemboka Music': 1. Lipepo Katimulozi, by Kapata Culture Group, 2. Ushilikanuke Utambule Muhole, by Kapata Culture Group, 3. Mike Yekaulenge Inongoma, by Kapata Culture Group, 4. Nikaipangula, by Mumbumbu Cultural Group, 5. Sibonita, by Mumbumbu Cultural Group, 6. Babanyezwi Balushupa, by Silimwa Selected, 7. Mwalibali Kimasila/Wayawanisiya Lokoto, by Silimwa Selected, 8. Nibi Ya Mwa Buse, by Nasiyongo Cultural Group, 9. Kunyala Mwana Muloi, by Nasiyongo Cultural Group, 10. Chalala Chalala, by Yuka Royal Cultural Group, 11. Mbunga, by Kwalela Crew, 12. Silimo, by Libala & Kapoba.

CD2: SWP 060 'The Barotse Guitar': 1. Ma Mundia, by Lipa Band, 2. Toninge Silami, by Lipa Band, 3. Jealous Yende, by Lipa Band, 4. Sibeze Sizegelo, by Lipa Band, 5. Ba Liseli Mueza Hande, by Lipa Band, 6. Tate, by Libala Band, 7. Lisungu, by Libala Band, 8. Masholi, by Libala Band, 9. Musipili, by Libala Band, 10. Libita, by Libala Band, 11. Purity, by Mufalo Mukelabai, 12. Mashelen’i, by Barotse Band, 13. Musike Mwanishanda, by Barotse Band, 14. Chongono, by Libala Band, 15. Likungumbenje, by Libala Band.

CD3: SWP 061 'Kangombio Silimba Jazz': 1. Kuwabile, by Pelekelo Mufalo, 2. Saba Silumba, by Pelekelo Mufalo, 3. Libazhi, by Pelekelo Mufalo, 4. Makaliwon, by Collens Shawinga, 5. Nzona Nandona Mutimake, by Collens Shawinga, 6. Zamahala Zinata Kale, by Collens Shawinga, 7. Naikela Mula Laundi, by Alfred Chiyembele, 8. Ngila Ya Mumbezhi, by Alfred Chiyembele, 9. Chiyembele instrumental, by Alfred Chiyembele, 10. Machurch Nimwawo, by Alban Kateta Kapemba, 11. Mushiengo, by Alban Kateta Kapemba, 12. Weririwo, by Alban Kateta Kapemba, 13. Mariana, by Alban Kateta Kapemba, 14. Sa Kayombo, by Ulengo Jazz Band, 15. Muzwe, by Ulengo Jazz Band, 16. Mutahe, by Ulengo Jazz Band.

CD4: SWP 062 'Drums, Voices, Sticks': 1. Mulumele Mulemele, by Mboanjikana Cultural Group, 2. Mboanjikana Sizo, by Mboanjikana Cultural Group, 3. Tuhumwelele Kanjonja, by Mboanjikana Cultural Group, 4. Kwatene Kubingoma Basizo Baneza, by Mboanjikana Cultural Group, 5. Kulemesa Chisemwa Chetu, by Chiweka Dancing Cultural Group, 6. Ngombo, by Chiweka Dancing Cultural Group, 7. Ivwa Mwanami Mwailia, by Chiweka Dancing Cultural Group, 8. Iyaze Mwa Ngusabula, by Yuka Royal Cultural Group, 9. Mwatatengu Nakapanda Bulozi, by Yuka Royal Cultural Group, 10. Tulandula, by Libala Cultural Group, 11. Tukonkobele Suite, by Sibupiwa Cultural Group, 12. Ndele Ku Batonesha, by Sibupiwa Cultural Group, 13. Kachacha, by Chiweka Dancing Cultural Group.




Wenn man an Musik aus Afrika denkt, dann vor allem an West-, Nord- und Südafrika. Doch auch fernab der bekannten Musikzentren wie Lagos, Kinshasa oder Johannesburg, läßt sich eigentlich überall hervorragende und mitreißende Musik auf dem Kontinent finden, das habe auch ich überall hören können. In Somalia, Tschad, Niger und Ruanda. Das kleine holländische Independent Label SWP-Records hat sich daher schon seit vielen Jahren dem Sound im Südosten Afrikas verschrieben.

Die aktuelle Musikreise geht nach Barotseland, in den Westen der Republik Sambia. Barotseland war einst ein 400 Jahre altes Königreich, das später als britische Kolonie Teil von Nordrhodesien wurde. Und genau dort wurde 1954 Michael Baird geboren. Im Alter von 10 Jahren, nach der Unabhängigkeit Sambias von Großbritannien, zog seine Familie nach Europa. Doch Michael Baird kehrt seit Jahren mehr oder weniger regelmäßig zu seinen musikalischen Wurzeln zurück und die sind, so sagt er, in Sambia. „Da ich schon in anderen Teilen von Sambia und auch in Simbabwe und Lesotho aufgenommen habe, wollte ich auch endlich in die westliche Provinz, so nennt die Regierung in Lusaka diese Region, sie weigern sich es Barotseland zu nennen. Sie versuchen so, den Ruf nach einer nationalen Identität zu verhindern, denn sie haben Angst, dass Sambia sich spalten könnte.“

Es gibt in Barotseland durchaus eine Unabhängigkeitsbewegung, doch aufgrund der abgeschiedenen Lage der Region an der Grenze zu Angola wird sie kaum wahrgenommen und von der Regierung in Lusaka auch unterdrückt. Selbst der legendäre Musikethnologe Hugh Tracey, der über Jahrzehnte Musik in verschiedenen afrikanischen Ländern aufnahm, kam nie in diese abgelegene und schwer zu erreichende Gegend. „Er nahm zwar Lozi Musik aus der Gegend auf“ so Michael Baird, „aber die wurde von jenen gespielt, die in den Kupfer- und Kohleminen im damaligen Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe arbeiteten. Er war nie da und auch heute gibt es nur eineinhalb Straßen dorthin. Es ist eine sehr interessante Musik mit einer interessanten Geschichte, die auch die nationale Barotse-Identiät widergibt, das kann man auch in der Musik hören.“

Die Musik, so Baird, sei unpolitisch, aber sie halte die kulturellen Wurzeln durch die überlieferten Texte und die traditionellen Instrumente am Leben. „Am meisten wird in Barotseland das Silimba Xylophon gespielt, es ist ein sehr großes Xylophon, zweieinhalb bis drei Meter lang. Und es wird von zwei Leuten gespielt, einer an der unteren Seite, der andere an der oberen. In einigen Dörfern findet man sogar Riesen Silimba Xylophone, die rund fünf Meter lang sind. Die werden dann von vier, fünf Männern gespielt.“ Die Begeisterung ist ihm anzuhören. Er ist selbst Musiker. Aus vielen Gesprächen mit ihm weiß ich, dass es für ihn wichtig ist, all jene zu bezahlen, die er mit seinen Mikrofonen vor Ort aufnimmt und auf SWP veröffentlicht. Und oftmals überrascht er sie alle mit seiner Begeisterung für ihre Musik: „Es ist ganz speziell für diesen Teil Afrikas und ja, auch eher unbekannt. Niemand kennt wirklich diese Region Afrikas. Ich hoffe, mit dieser Veröffentlichung kann man hören, dass die Musik einfach unterschätzt wird, denn sie ist wirklich gut.“

Die Geschichte des Barotselandes und die Reise von Michael Baird dorthin wird in diesem Klangbuch ausführlich in einem umfangreichen Booklet mit zahlreichen Fotos erzählt. Die Musik-Aufnahmen, die auf zwei Trips 2016 und 2018 entstanden sind, belegen einmal mehr, dass es noch so viel wunderbare Musik fernab der Metropolen, Charts und herkömmlichen Genres zu entdecken gibt.

Montag, 17. August 2020

Drahdiwaberl – McRonalds Massaker




Drahdiwaberl – McRonalds Massaker



Auf meinem Schreibtisch liegt ein Stapel neuer CDs und auch eine DVD mit dem Titel „Stefan Weber heißt das Schwein“. Es ist die Geschichte der österreichischen Provokateure Drahdiwaberl, zu denen auch mal Falco gehörte. Berühmt-berüchtigt wurden sie Anfang der 80er Jahre, als in den deutschen Landen alles veröffentlicht wurde, was auf Deutsch daher kam. Neben Nena, Markus und Frl. Menke wurden da auf einmal auch Bands wie die Einstürzenden Neubauten, DAF und eben Drahdiwaberl angesagt. Und die Österreicher um den Kunstprofessor Stefan Weber passten genausowenig in das Konzept des NDW-Plastikpops mit Zielrichtung ZDF-Hitparade, wie die Neubauten oder DAF.

Drahdiwaberl schockierten allein schon mit Platten wie „McRonalds Massaker“, gegen das die amerikanische Burgerkette klagte. Ungeniert feierten sie sich schrill-schräg-schön auf der Bühne. Es waren aufufernde Happenings, in denen erlaubt war, was eigentlich nicht erlaubt war. Weber und seine Gefolgschaft führten das politische und kulturelle Establishment Österreichs vor. Daher auch der Satz „Stefan Weber heißt das Schwein“, irgendein FPÖ Politiker wird es schon gesagt haben. Drahdiwaberl und ihre Anhänger hatten in den „Freiheitlichen“ den idealen Gegner gefunden. Das ging soweit, dass ihr Label, Virgin, das Lied „Schulterschluss“ vom Album „Torte statt Worte“ schmiss, aus Angst, die FPÖ könnte klagen. Weber reagierte und ließ den Song kostenlos im Internet verbreiten. Kunst ist eben zensurfrei.

Ihre Platten waren alles andere als hitverdächtig und doch waren sie Meilensteine der Austro-Musikszene. Mit dieser DVD liegt nun ein weiterer Film vor, der, so wird betont, mit 0 Euro Budget gedreht wurde. Das sieht und hört man und dennoch wird hier die abgefahrene Webersche Welt dargestellt. Was fehlt ist die Musik, wahrscheinlich aus Rechtegründen, was auch fehlt sind alte Konzertmitschnitte. „Stefan Weber heißt das Schwein“ konzentriert sich mehr auf die späten 2000er Jahre, kurz bevor Weber mit Parkinson diagnostiziert und schließlich von der Bühne gehen mußte.

Wer die wahre Welt von Drahdiwaberl filmisch erleben möchte, sollte sich die DVD „Weltrevolution“ besorgen. Darin kann man die seltsame und verquerte Weltsicht des Ober-Provocateurs und Künstlers Stefan Weber erleben. Enthalten ist auch der legendäre New York Auftritt der Band in den 90er Jahren, als Drahdiwaberl auf einem internationalen Musikfestival als österreichischer Part eingeladen worden waren. Drahdiwaberl haben zweifellos Musikgeschichte geschrieben. Sie waren seinerzeit für mich eine der interessantesten NDW-Bands, eben weil sie nicht geradlinig und sich nicht in die poppigen Einheitsschablonen pressen ließen. Seitdem bin ich Fan und habe es nie bereut von Stefan Weber so versaut worden zu sein….Stefan Weber heißt das Schwein!

Samstag, 15. August 2020

KMFDM – Hell Yeah




KMFDM – Hell Yeah



Es wurde auch langsam Zeit! Im November 2016 wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt und im August 2017 war es endlich so weit. Gespannt wie ein Flitzebogen habe ich auf die neue KMFDM Platte gewartet. Darauf, wie Sascha Konietzko auf die politische Lage in seiner zeitweiligen Wahlheimat reagieren wird. Der Hamburger legt mit „Hell Yeah“ nun das 20. Studioalbum der Band vor.

Es ist erneut ein brachiales Industrial-Metal Werk, ohne Raum für Kompromisse zu lassen. Die zum Teil hochpolitischen Texte machen deutlich, dass hier ein Angriff auf all das kommt, für was Amerika in diesen Tagen steht: Fake News, Gelaber, Geschichtsverfälschung, eine Verletzung der Grundwerte und Grundrechte. Unterlegt ist das lautstark, mit harten Gitarrenriffs, viel Elektronik und einem typisch-mitreißenden KMFDM Beat. Hier spielt eine Band, die nicht Schönwetter macht, vielmehr den Alltag in seiner ganzen Brutalität widerspiegelt.

KMFDM sind bekannt dafür, das auszusprechen, oder besser hinauszuschreien, was andere nur denken. Als Präsident George W. Bush ins Kriegshorn gegen Afghanistan und Irak blies und viele Künstler aus Angst vor Repressalien still blieben, antwortete Konietzko unmissverständlich mit „WWIII“, ein hochpolitisches, ein mehr als wichtiges Album in der Bandgeschichte. Damals lebte er noch in Seattle, eine Stadt, die ihn und die Band prägte. KMFDM heute sind vor allem das Duo Sascha Konietzko und Lucia Cifarelli, nicht nur musikalisch sind sie ein Paar. Und diese künstlerische Nähe spürt man. Es ist eine Ergänzung durch und durch.

KMFDM wurden 1984 am Rande einer Kunstausstellung gegründet. Seitdem brettert Sascha Konietzko unaufhaltsam voran: „KMFDM never stops“ heisst es in einem Lied. Die Band ist international eine der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Acts. Auch wenn man im eigenen Land den Einfluss von KMFDM nicht erkennt und zu schätzen weiß, viele Bands in den härteren Genres sehen die Gruppe als wichtigen Meilenstein im Musikzirkus. In den USA haben sie Kultstatus, das wird man bald wieder auf der kommenden Tour durch die (Nicht)Vereinigten Trumpschen Staaten erleben können. „Hell Yeah, se Tschörmans are coming!“

Donnerstag, 13. August 2020

Various Artists – Weltmusik




Various Artists – Weltmusik



Der Ruf nach “America First” ist überlaut, eine “hohe, schöne Mauer” will Präsident Donald Trump an der Grenze zu Mexiko bauen lassen und Flüchtlinge aus Krisen- und Konfliktgegenden haben kaum noch eine Chance legal in die USA zu kommen. Das Einwanderungsland Amerika macht die Schotten dicht. Die eigene Bauchnabelschau steht im Wahljahr 2020 scheinbar an vorderster Stelle.

Da ist es erfrischend, dass das Plattenlabel Smithsonian Folkways mit Sitz in Washington DC einen ganz anderen Weg geht und in diesen aufgeheizten Zeiten die Vielfalt der Kulturen feiert. In einer neuen Wiederveröffentlichungsserie auf Vinyl wird nun Musik aus Gambia, Trinidad und den Gebieten der südlichen Sahara präsentiert.

Folkways Recordings ist eine musikalische Schatztruhe. Tausende von Aufnahmen aus aller Welt sind hier über die Jahrzehnte zusammengetragen worden, und das aus den verschiedensten und noch so entlegendsten Kulturen, in Sprachen, die es teilweise gar nicht mehr gibt. Oftmals ist es Musik, die alles andere als hitverdächtig ist. Aber Folkways, das bis in die 1940er Jahre zurückreicht, ist zu einem einmaligen Archiv der Weltmusik geworden. Das Label hat mit einer Wiederveröffentlichungsserie von alten Aufnahmen auf Vinyl begonnen, aktuell sind es – Calypso Travels, Gambian Griot Kora Duets und Tuareg Music of the Southern Sahara. Und das durchaus mit einem Hintergedanken, wie Huib Schippers, der Direktor von Folkways erklärt: „Wir leben in einer sehr polarisierten Welt. Wir als Label glauben, wir können das etwas abschwächen, in dem wir den Blick auf Menschen in anderen Teilen der Welt legen und zeigen, was sie antreibt.“

Huib Schippers erklärt auf die Frage, wie man denn bei solch einem gewaltigen Archiv mit tausenden von Aufnahmen eine Auswahl treffen könne, dass man als Team zusammenkomme, jeder bringe ein paar Vorschläge mit. Gemeinsam höre man sich die Aufnahmen an und entscheide dann gemeinsam darüber. Die drei aktuell veröffentlichten Platten verbinde musikalisch dabei wenig, sagt er, es sei einfach „unglaubliche Musik“.

Die Musik der Tuareg bringt den Hörer ganz nah dran, die Mikrofone haben dabei nicht nur die Musiker aufgenommen, sondern fingen auch die gesamte Atmosphäre im Freien ein. Die Kora Duette aus Gambia und Senegal hingegen stellen die feinfühligen und durchaus auch hypnotischen Klänge dieser westafrikanischen Harfe dar. Die Originalplatte erschien 1979. Calypso Travels von Lord Invader war dessen letzte Platte, die von Folkways Gründer Moses Asch 1960 in New York produziert wurde. Es ist zeitlose Musik, die auf diesen drei Veröffentlichungen präsentiert wird. Was sie verbindet ist der grenzenlose Blick auf diese universelle Sprache der Musik.

In diesen “America First” Zeiten wird genau diese Sprache zu einem wichtigen Gegenpart einer engstirnigen und beschränkten Politik. Folkways sieht sich dennoch nicht als politisches Label, man sei zwar Teils des Smithsonian Netzwerkes, aber finanziell nicht davon abhängig. Eine staatliche Kontrolle über die Veröffentlichungen und Themen des Labels gebe es also nicht, meint Huib Scheppers. „Wir glauben, die Menschen auf dieser Erde sollten in Frieden miteinander leben, versuchen, sich zu verstehen und Mitmenschlichkeit zu zeigen und zu feiern. Vieles, was wir veröffentlichen drückt das aus. Es geht darum, neugierig zu sein, was für mich einer der besten Wege ist Vorurteilen vorzubeugen.“

Huib Schippers beschreibt das, was Folkways tut als eine Art GPS, ein globales Navigationssystem. Und das ist es wahrlich. Die Welt hören kann Grenzen verschieben. Geplant sind schon jetzt etliche weitere Wiederveröffentlichungen auf Vinyl. All die Musik gibt es auch als CD on Demand und natürlich als Download.

Dienstag, 11. August 2020

Groupe RTD – The Dancing Devils Of Djibouti




Groupe RTD – The Dancing Devils Of Djibouti


Label: Ostinato Records


Erscheinungsjahr: 2020


Trackliste:

1. Buuraha U Dheer (The Highest Mountains)
2. Raga Kaan Ka'Eegtow (You Are the One I Love)
3. Kuusha Caarey (The Pearl Necklace)
4. Raani (Queen)
5. Alto's Interlude
6. Uurkan Kaadonaya (I Want You)
7. Halkaasad Dhigi Magtiisa (That's Where You'll Leave His Reward)
8. Iiso Daymo (Look at Me)
9. Suuban (Joy)
10. Wiil Wille (The Jumping Man)




Wenn man an das Horn von Afrika denkt, dann fallen einem vor allem Krieg, Chaos, Terror, Hunger und Seepiraten ein. Die Hochzeiten der Kulturmetropole Mogadischu sind lang her, lang vergessen. An eine spannende, reiche und vielseitige Musikszene in der Region denkt wohl kaum jemand. Doch die gibt es, wie das neue Album von Ostinato Records “The Dancing Devils Of Djibouti” zeigt

Neun von zehn Befragten haben noch nie etwas von Dschibuti gehört, der kleinen Republik am Horn von Afrika, zwischen Eritrea, Äthiopien und Somaliland gelegen. Das kleine Land mit noch nicht einmal einer Million Einwohnern liegt strategisch, wie es Vik Sohonie von Ostinato Records beschreibt: „Wenn wir an Dschibuti denken, dann an die Militärbasen. Daran, dass die USA von dort ihre Drohnen starten, um Somalia zu bombardieren.“

Vik Sohonie hatte zuvor mit seinem Label Ostinato Records die Platte “Sweet as broken Dreams” veröffentlicht, Musik aus der boomenden somalischen Metropole Mogadischu, bevor sie zerstört wurde. Dafür waren er und sein Mitstreiter wochenlang vor Ort, hörten sich durch Klangarchive bei Radiosendern und Kultureinrichtungen und suchten auf den Märkten der Region alte Kassetten. Und bei den Recherchen stießen sie auch auf die Musik im Nachbarland Dschibuti, am Golf von Aden gelegen, einem Knotenpunkt der Schifffahrt. „Ähnlich wie das auch in Somalia war, trafen und vermischten sich hier die verschiedenen Kulturen der Händler, denn ist so ein strategischer Punkt der Welt. Wenn man das alles zusammenfasst, dann versteht man, dass Dschibuti nicht nur heute ein Ort des globalen Interesses ist. Vielmehr ist es ein Ort, an dem sich all diese Kulturen von überallher trafen.“

Vik Sohonie und sein Label Partner reisten erneut nach Dschibuti, um dort Musik ganz neu aufzunehmen. Kein leichtes Unterfangen, denn die Musikindustrie in dem kleinen Land wird seit der Unabhängigkeit 1977 staatlich kontrolliert. Und alles wurde im Studio des Nationalen Rundfunks aufgenommen. Es ging den beiden diesmal nicht darum, einfach nur Archivmaterial zu kopieren und zu veröffentlichen. Sie wollten an diesem Ort, in diesem alten Studio alte Songs ganz neu aufnehmen. Nach langem hin und her bekamen sie die Erlaubnis zehn Songs aufzuzeichnen, die nun auf dem Album “The Dancing Devils of Djibouti”, eingespielt von der Groupe RTD, zu finden sind. „Als wir die Band zum ersten Mal hörten, war das in diesem Aufnahmestudio. Hier hatte zuvor jeder gespielt, hier wurden Tausende von Songs eingespielt. Da ist diese Energie im Raum, diese historische Energie, auch wenn das Studio nicht mehr im besten Zustand ist. Aber da ist auch eine grandiose Akustik. Wenn die Band da spielt, ist es einfach atemberaubend.“

Es ist wahrlich ein musikalischer Schatz, der hier gehoben wurde. Musik zwischen Funk und Reggae, Harlem Jazz, indischem Bollywood und arabischen Einflüssen. Eine mitreißende Mischung, die bislang kaum bekannt war und nun sicherlich ein ganz neues Interesse finden wird. Und das mehr als verdient. Zehn Songs, die den musikalischen Reichtum dieser Region ausdrücken. Für Vik Sohonie drückt ein Lied das besonders aus, das übersetzt “You Are the One I Love” heißt: „Er gibt sehr gut dieses Ost-Afrika Gefühl wieder. Über diesen Song bekommt man einen Einstieg in die Musik Dschibutis. Da ist amerikanischer Funk und Jazz, ein bisschen Äthiopisch, ein bisschen Somalia, ein bisschen Indisch, ein bisschen von allem…. I think it’s the perfect stew for people to appreciate the music of Djibouti.



Sonntag, 9. August 2020

Alanis Morissette – Such Pretty Forks In The Road




Alanis Morissette – Such Pretty Forks In The Road


Besetzung:

Alanis Morissette – vocals, backing vocals


Gastmusiker:

Alex Hope – guitars, synths, marxophone, programming, string arrangement
Michael Farrell – piano, synths, organ, marxophone, string arrangement
Catherine Marks – synths, programming, string arrangement
Adam 'Cecil' Bartlett – acoustic guitar, synths and programming
Victor Indrizzo – drums
Tyler Last – bass
Steven Milbourne – acoustic guitar
Chris J. Alderton – guitar
David Levita – guitar
Cedric Lemoyne – bass
Frank Turner – guitar


Label: RCA Records


Erscheinungsjahr: 2020


Stil: Pop


Trackliste:

1. Smiling (4:18)
2. Ablaze (3:57)
3. Reasons I Drink (3:36)
4. Diagnosis (4:47)
5. Missing The Miracle (3:33)
6. Losing The Plot (3:57)
7. Reckoning (3:25)
8. Sandbox Love (4:12)
9. Her (4:10)
10. Nemesis (5:55)
11. Pedestal (4:08)

Gesamtspieldauer: 46:03



Ich kenne die Musik der Kanadierin Alanis Morissette seit dem Jahr 1995, als ihr mit ihrem bereits dritten Studioalbum „Jagged Little Pill“ der Durchbruch gelang. Zufälligerweise war ich damals mit meiner Familie gerade in den USA unterwegs und dieses Album war unsere Musik des Sommers und begleitet uns bis heute. Selbstverständlich verfolgten wir auch die weiteren Alben der Musikerin, die auch viele schöne Momente bereithielten, an dieses erste Album allerdings nicht mehr ganz heranreichten.

Nun, nach acht Jahren Pause folgt mit „Such Pretty Forks In The Road“ das neunte Studioalbum der Alanis Morissette. Und schon nach wenigen Malen des Hörens war ich bereits beeindruckt. Natürlich, ich mag die Stimme der Musikerin, die besonders und unverwechselbar klingt. Doch die elf Lieder des Albums begeistern schon noch deutlich mehr, als viele jener Lieder der vergangenen Veröffentlichungen. Auf „Such Pretty Forks In The Road“ hört man neben sehr guten Texten auch wunderschöne Melodien, die sich sofort im Ohr verfangen und hängenbleiben.

Dabei ist die Musik zumeist eher sanft gehalten. Das bereits von fünf Monaten als Video veröffentlichte Lied „Reasons I Drink“ gehört da schon zu den etwas „flotteren“ Titeln des Albums – die Melodie überzeugt allerdings auch in diesem Fall. Ansonsten hört man viel Piano, einnehmend, warm und sehr eingängig. Auch die Untermalung vieler Titel mit einem Orchester trägt zu dieser Atmosphäre bei. Somit ist „Such Pretty Forks In The Road“ insgesamt ein sehr ruhiges, nachdenkliches und bewegendes Album geworden.

Fazit: Musik kann einen begeistern, Musik kann einen Menschen berühren, treffen, packen und eben bewegen. All das verspüre ich, wenn ich diese neue Platte von Alanis Morissette höre. Ein ruhiges Album, mit sehr viel Tiefgang und wunderschönen Melodien. Für alle, die auch mal Lust verspüren ihrer Melancholie und Sentimentalität freien Lauf zu lassen. Für Menschen, die sanfte und schöne Melodien lieben. Elf Punkte.

Anspieltipps: Reasons I Drink, Losing The Plot



Freitag, 7. August 2020

Julian le Play – Tandem




Julian le Play – Tandem


Besetzung:

Julian le Play – vocals, backing vocals, synthesizers


Gastmusiker:

Johannes Römer – programming, piano, keyboards, guitars, backing vocals
Matthias Oldofredi – programming, keyboards, guitars
Lukas Hillebrand – programming, keyboards, guitars, backing vocals
Alexander Pohn – drums
David Raphhael Lackner – additional piano & synthesizers
Peter Schönbauer – bass
Martin Rott – additional synthesizers & programming
Florence Arman – backing vocals
Alexander Teschauer – additional synthesizers, guitars & programming, backing vocals
Melanie Lokotsch – backing vocals
Jonathan Reiner – additional synthesizers, backing vocals
Yannick Ernst – additional synthesizers, programming
Lukas Riemenschneider – additional programming
Rina Kacinari – cello
Maria Burger – backing vocals
Martin Janeba – additional guitar
Markus Weiß – additional programming


Label: Columbia Records


Erscheinungsjahr: 2020


Stil: Pop


Trackliste:

1. Leuchtturm (2:57)
2. Hellwach (3:36)
3. Team (3:21)
4. Das sind die Nächte (3:13)
5. Stein ins Meer (3:50)
6. Sterne (3:44)
7. Millionär (3:28)
8. Für immer jung (3:34)
9. Du & Ich (3:29)
10. Wenn alles brennt (3:40)
11. No more drama (3:15)
12. Hurricane (3:42)
13. Sonne & Mond (3:58)
14. Still (3:34)
15. Bergauf (3:24)

Gesamtspieldauer: 52:51




Julian le Play, mit bürgerlichem Namen Julian Heidrich, ist ein 29-jähriger Musiker aus Wien, der heute, am 7. August bereits sein viertes Studioalbum veröffentlicht. „Tandem“ heißt dieses und es erscheint auf dem Plattenlabel Columbia Records, einer Tochter der Sony Music. „Tandem“ schrieb Julian le Play mit Freunden und ihm bisher noch nicht bekannten Musikern auf einer Tiroler Berghütte und ließ sich dadurch in seiner Musik auch von außen inspirieren. Das Ergebnis kann sich sehen beziehungsweise noch besser hören lassen, denn „Tandem“ ist ein Album angefüllt mit nachdenklichen Texten und eingängiger Musik.

Die einzelnen Lieder auf „Tandem“ klingen dabei zumeist sanft und weich – zumindest inhaltlich, wenn der Wiener Musiker seine Geschichten erzählt. Doch fast all den Liedern des Albums ist auch gemein, dass hier jeweils ein Beat unterlegt ist, der zum Mittwippen einlädt. Neben der Melodie steht bei Julian le Play immer auch der Rhythmus im Zentrum seiner Musik. Die Ausnahme stellt das Lied „Still“ dar, voller Nachdenklichkeit, Gefühl und eben Stille zelebriert Julian le Play darin seine Musik. Und diese Musik des Albums insgesamt geht sehr schnell ins Ohr, unterhält, klingt jederzeit unaufgeregt und eingängig. Alles passt perfekt zusammen, ergänzt sich.

Trotzdem, ein wenig mehr Mut hätte man Julian le Play bezüglich seiner Instrumentierung gewünscht. Sehr viel Synthesizer-Sound hört man auf „Tandem“, obwohl es dabei noch nicht einmal zu elektronisch klingt. Doch solch ein Anfang wie bei „Stein ins Meer“, mit akustischer Gitarre, hätte das Album noch ein wenig mehr aufgelockert und für mehr Abwechslung gesorgt. Im Video hört man diese Gitarre sogar das ganze Lied über, das hat was.

Fazit: Für alle, die sanften Pop mögen, der mit viel Gefühl vorgetragen wird und dabei trotzdem niemals Rhythmus und Takt verliert, die oder der werden viel Spaß an Julian le Plays neuestem Album „Tandem“ haben. Musik zum Träumen und trotzdem mit den nötigen Beats versehen, die manchmal sogar zum Tanzen einladen. Ein Widerspruch? Nicht bei Julian le Play.

Anspieltipps: Leuchtturm, Stein ins Meer, Still



Mittwoch, 5. August 2020

David Jassy – San Quentin Mixtapes




David Jassy – San Quentin Mixtapes



Meine Oma hätte sicherlich gesagt: „Dat sind doch alles Gangsta im Knast“. Stimmt schon irgendwie, alle wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Doch dieser Gangsterrap ist anders. Positiv, mit einer Message, Therapie hinter den dicken Mauern.

Johnny Cash spielte schon dort, genauso wie Metallica, B.B. King und Carlos Santana. San Quentin, das älteste Staatsgefängnis in Kalifornien, hat aber nicht nur musikalische Besucher von draußen bekommen. Hinter den dicken Mauern des einst gefährlichsten Gefängnisses westlich des Mississippis waren auch immer wieder Musiker inhaftiert. Das reicht vom Komponisten Henry Cowell über Jazz Musiker wie Art Pepper, Frank Morgan und Dexter Gordon bis hin zum Country Musiker Merle Haggard. Seit über 25 Jahren beschäftigte ich mich und berichte über San Quentin, nun habe ich David Jassy kennengelernt, einen Musiker aus Schweden, der wegen Mordes zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, nach San Quentin kam und im Frühjahr begnadigt wurde. Jassy hat nun die “San Quentin Mixtapes” veröffentlicht.

David Jassy erreiche ich per What’s App in Stockholm. Seit März lebt er wieder in seiner Heimatstadt. Er war Mitglied des erfolgreichen schwedischen Hip Hop Duos “Navigators”, er produzierte in Deutschland Songs für die No Angels und Janet Biedermann und war im November 2008 in Los Angeles, um am Album von Britney Spears mitzuarbeiten. Dann passierte es, auf dem Nachhauseweg geriet er mit einem anderen Verkehrsteilnehmer in Streit, er schlug zu, der Mann verstarb an den Folgen. Jassy wurde für einen Mord angeklagt und 2010 zu 15 Jahren bis zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach dem LA County Jail kam er erst nach Solano und dann nach San Quentin: „Und ich komme in dieses Gebäude und es war wie aus einem Film. Es war der West Block. Es war verrückt. Leuten liefen durch die Gegend, es schien keine Struktur zu geben, sie liefen die Eisentreppen hoch und runter. Und ich hatte dieses panische Gefühl in mir, lebenslang. Ich dachte mir, wie um alles in der Welt soll ich das überleben. Aber ich hab’s überlebt.“

Der heute 46jährige überlebte es nicht nur, er half vielen anderen im Gefängnis. Er selbst ist schwarz, sein Vater stammt aus Gambia, seine jüdische Mutter floh aus Estland nach Stockholm, wo er geboren wurde. Seine Geschichte stieß auf Interesse, gerade auch, weil viele im kalifornischen Knast nicht wussten, dass es in Schweden auch Schwarze gibt. David Jassy hielt sich fern von den Gangs und den Drogen im Knast, organisierte sein Leben hinter Gittern, konzentrierte sich auf seine Musik und begeisterte damit auch andere um ihn herum. Er schaffte es, einen Synthesizer in seine Zelle geschickt zu bekommen, ein Musikprogramm hinter den dicken Mauern zu starten. In einem Anbau wurde sogar ein kleines Tonstudio eingerichtet.

„
Musik war meine Therapie. Als ich mit dem “San Quentin Mixtape” anfing, wollte ich ein Album mit den Youngsters machen, auf dem sie über ihr Leben und ihren Mühen sprechen, aber ohne obszöne und abfällige Sprache, und doch authentisch. Du kennst San Quentin, Du weißt wie das hier ist, da ist nichts zum Schönreden und es ist auch nicht cool im Gefängnis zu sein. Da aufzuwachen und es jeden Morgen zu bereuen, dass man jemanden umgebracht hat. Ich wollte, dass sie das mitteilen.“

Und genau das kann man in diesen 17 Songs hören, authentische Stimmen, die durch Musik und Rap einen Weg gefunden haben, sich mitzuteilen. Es war nicht leicht, dieses “Mixtape” Album zu realisieren und dann zu veröffentlichen. Als er schon die Zusage hatte, zog ein anderer Beamter die wieder zurück. Doch Jassy gab nicht auf, über bekannte Unterstützer, wie MC Hammer und Kim Kardashian, hörte Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom von dem Projekt und gab schließlich grünes Licht.

In den Texten werden Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle im Leben der Youngsters draußen und hinter Gittern beschrieben. Ein Song sticht für David Jassy ganz besonders heraus, der von Dinero G, einem 19jährigen Mexikaner, der in einer Gang war. Eigentlich, so David Jassy, wären sie im Gefängnisalltag nie zusammen gekommen, aber die Musik brachte sie zusammen. „
Eines Tages kam er ins Studio und er fing an diesen Song zu rappen. Und dabei sagte er “I’m in the same prison as my grandfather”, ich bin im gleichen Gefängnis wie mein Großvater. Und ich stoppte ihn und fragte, was war das. Und er, yeah, ich bin im selben Knast. Nicht nur, dass sein Opa auch in San Quentin war, er war im selben Zellenblock, auf derselben Ebene, nur ein paar Zellen weiter. Und ich, was für eine verrückte Geschichte. Er sprach von diesem Generationentrauma, seine Mutter war gerade 13 als sie mit ihm schwanger war, ihr Vater war in San Quentin und konnte nicht da sein für seine Tochter. Und jetzt ist er im selben Gefängnis und er kann selbst nicht für seine Tochter da sein.“

Nach zehn Jahren in San Quentin, einem der notorischen Gefängnisse in den USA, beginnt nun für David Jassy ein neues Leben, den Kontakt mit seinen “Mixtape” Mitstreitern will er halten und sie von außen unterstützen. Er sagt von sich, er sei ein neuer Mensch: „
Es hat mich in vielen Bereichen verändert. Es hat mich wohl dankbarer gemacht, am Leben zu sein. Ich schätze Dinge nun mehr wert, wieder hier in Stockholm zu sein, ich sehe Sachen in meiner Stadt, die mir nie aufgefallen sind. Ich sehe die Schönheit an Orten, die ich nie beachtet habe…ich bin dankbar zu leben.“

Die „San Quentin Mixtapes“ sind auf allen digitalen Plattformen, wie amazon, iTunes und Spotify zu finden.

Montag, 3. August 2020

Various Artists – Music From The Yiddish Radio Project




Various Artists – Music From The Yiddish Radio Project


Label: Shanachie Entertainment


Erscheinungsjahr: 2002


Trackliste:

1. Intro To "Yiddish Melodies In Swing" von Sam Medoff & The Yiddish Swing Orchestra (1:13)
2. The Bridegroom Special von Sam Medoff & The Yiddish Swing Orchestra (2:17)
3. Adler Shoes Commercial von Henry Morgan (0:18)
4. Second Avenue Square Dance von Dave Tarras Orchestra (2:44)
5. Oh Mama, I'm So In Love von The Barry Sisters With Sam Medoff & The Yiddish Swingtet (1:52)
6. Wevd Station ID von Solomon Dingol (0:04)
7. Die Goldene Khasene von Abe Ellstein Orchestra (3:05)
8. Manischewitz Matzo Commercial von The Barry Sisters and Jan Bart with Same Medoff And The Yiddish Swingtet (0:27)
9. Samson And Delilah von The Barry Sisters And Jan Bart With Sam Medoff And The Yiddish Swingtet (2:29)
10. Bei Mir Bist Du Schoen von The Andrews Sisters (3:07)
11. Hebrew National Meats Commercial von WEVD Radio Anouncers (0:33)
12. Joe And Paul Commercial von Paul Kofsky & Sholom Secunda (0:19)
13. Joe And Paul von Barton Brothers (2:52)
14. Wevd Station ID von Solomon Dingol (0:09)
15. Levine Mit Zayn Flying Machine von Charles Cohan (3:26)
16. Wvfw Station ID von Frank Daniels (0:07)
17. Parkway Cafeteria Commercial von Rubin Goldberg & Hannah Hollander (0:55)
18. Dona Dona von Moishe Oysher And Sholom Secunda (1:33)
19. Stanton Street Clothier's Theme Song von Moishe Oysher (1:51)
20. Wbbc Station ID von Brett Childs (0:09)
21. Wo Bist Du Gewesen Vor Prohibition von Naftule Brandwein Orchestra (3:07)
22. Milady Frozen Fruit Products Commercial von The Pincus Sisters (1:14)
23. Ajax Commercial von Seymour Rechtzeit (0:11)
24. Surrey Mit A Fringe Afn Top / Oy, S'Iz A Sheyne Fremorgen von Seymour Rechtzeit (1:37)
25. Yiddish Melodies In Swing Intro von Sam Medoff & The Yiddish Swingtet (0:42)
26. Yidel Mitn Fiedel von The Barry Sisters With Sam Medoff & The Yiddish Swingtet (2:46)
27. Wcnw Station ID von Wcnw Station (0:09)
28. Turkish Yalle Ve Uve von Naftule Brandwein Orchestra (3:20)
29. Gefilte Fish Commercial von WEVD Radio Anouncers (0:19)
30. Dayenu von Sam Medoff & The Yiddish Swingtet (1:38)
31. Eastside Gluckstern's Restaurant Commercial von The Pincus Sisters (1:00)
32. Barbasol Commercial von Seymour Rechtzeit (0:16)
33. Battle Hymn Of The Republic von Seymour Rechtzeit (1:06)
34. Sign Off To "Yiddish Melodies In Swing" von The Barry Sisters With Sam Medoff & The Yiddish Swingtet (0:48)




Zwischen 1925 und 1955 wurden auf 107 Stationen in den Vereinigten Staaten von Amerika jiddische Radioprogramme ausgestrahlt. Die Hochzeit war in den 30er und 40er Jahren, als immer mehr Radiostationen on-air gingen und die jüdischen Gemeinden in den USA anwuchsen. Ein Kulturschatz, der nie richtig ergründet und archiviert wurde, fast vergessen schien, doch von einem Sammler in New York durch Zufall entdeckt und zum Teil neu veröffentlicht wurde.

Henry Sapoznik ist Autor, Radio- und Plattenproduzent, Gründer des “Yiddish Radio Project” und ein Sammler alter jüdischer Aufnahmen. Für ihn steht fest, dass diese Art von Radioprogrammen nur in den USA stattfinden konnte. “Wie in allen Ländern kontrolliert die Regierung die Radiolizensen, aber hier wurden sie verkauft. Daraus entstand eine Art Marktplatz, der auch kleinere Stationen on-air brachte. Das lief dann so, das jemand eine Lizenz kaufte und Sendezeit an andere vermietete, die für ihre zwei Stunden dann eine eigene Finanzierung finden mussten.”

Die amerikanische Radiolandschaft ist etwas besonderes, denn neben den kommerziellen Sendern und Programmen, gibt es auch Stationen, die zum einen Sendezeit verkaufen, zum anderen sogenannte “Community stations”, eine Art offene Kanäle mit Programmen, die meist von Freiwilligen produziert werden. Sie werden “cultural producers” genannt, Kulturproduzenten. Das sind dann teils fremdsprachige oder kulturelle Programme, die im Mainstream Hörfunk keinen Platz finden. Und die jüdischen Sendungen von damals fielen genau in diese Kategorie. “Viele der jiddischen Programme waren so aufgebaut, dass sie einen tiefer in die Community brachten, betonten, wer man als Hörer und als Mitglied der religiösen, sozialen und nationalen Gemeinschaft war. Die Programme waren keine Western, keiner Gangster Shows, keine “Mystery” Shows. Die Programme waren vor allem Unterhaltung. Besonders Musikshows, jiddisches Gesangstheater, dazu so Schlager und religiöse Musik”, umschreibt Sapoznik die Sendungen.

Mitte der 80er Jahre hatte Henry Sapoznik für das “YIVO Institute for Jewish Research” in New York gearbeitet und gründete dort ein Sound-Archiv. Vor allem Klezmer Musik wurde archiviert. Und bei seiner Suche nach Schellackplatten stieß er immer wieder auf Aluminium Platten, sogenannte Instagram Discs. “Die wurden hergestellt, weil die Sender dokumentieren können mussten, was sie gesendet hatten. Falls es Beschwerden gab, hatte man so eine Kopie der Show, aber diese Discs waren eben nur für eine kurze Zeit gedacht.”

Aluminium Platten als Belegexemplare, auf denen Radiosendungen und Klangaufnahmen, Live-Auftritte und Radiowerbung festgehalten wurden. Nirgends sonst gab es ein Klangarchiv für diese Sendungen, schon gar nicht bei den einzelnen Radiostationen. Der Großteil von ihnen, so Sapoznik, wurde wahrscheinlich während der Kriegsjahre vernichtet, denn Aluminium war ein wichtiges Material. “Niemand wiederholte eine Sendung, das gab es damals nicht. Alles war live, deshalb wurden diese Discs als Altmetall von den Stationen abgegeben. Und einige Kopien überlebten nur deshalb, weil ein paar Leute sie aufhoben, die in den Sendungen vorkamen, sie produzierten oder als Sponsor auftraten.”

Auf diesen Platten, die Sapoznik auszugsweise neu veröffentlichte, ist mitreißendes Radio zu hören, das auch eine wichtige Epoche des jüdischen Lebens gerade in New York dokumentierte. “Die Sprache in den Shows war wie eine Fremdsprache in Amerika. Da gab es Yiddish, wie es von den Juden aus der alten Welt gesprochen wurde. Da waren Leute, die ganz bewusst Yiddish und Englisch in ihrer Sprache vermischten.” Unter den Produzenten dieser Sendungen war auch Nahum Stutchkoff, ein im heutigen Polen geborener jüdischer Autor und Schauspieler, der u.a. das umfassendste jiddische Wörterbuch “Ojzer fun der jidischer schprach” schrieb, das je veröffentlicht wurde. In zahlreichen jiddischen Theaterstücken und Radiosendungenn machte er von sich reden.

Das besondere an Henry Sapozniks CD-Veröffentlichungen für das “Yiddish Radio Project” und seine Arbeit über die jüdischen Radiosendungen ist, dass er zeigen kann, welche Bedeutung diese Hörfunkprogramme für die jüdischen Gemeinden in den USA hatten. Die meisten dieser “Kulturprogramme” – fremdsprachig oder mit anderem ethnischen Hintergrund – wurden nie archiviert. Mit dem Verkauf eines Senders, mit dem Ausscheiden eines Moderators ging auch immer ein Stück der hörbaren Kultur, der Vielseitigkeit im “melting pot” USA verloren. Diese historischen jiddischen Radioprogramme machen jedoch deutlich, wie reich die Vereinigten Staaten von Amerika waren und auch noch sind.