Various Artists - NDW - Aus grauer Städte Mauern
Wer bei NDW nur an Markus und Nena, Witzi-Spritzi-Heiterkeit und “Ich
will Spass” denkt, der kann gleich weiterklicken. Denn das war die Neue
Deutsche Welle ganz und gar nicht. Das, was alles unter dem Begriff NDW
zwischen 1977 – 1985 zusammengefasst wurde, gleicht im Rückblick einem
musikalischen Erdbeben, das international spürbar wurde. Und es legte
das Fundament für die sehr selbstbewusste und deutschsprachige
Musikszene ab Mitte der 90er Jahre.
Burghard
Rausch von Radio Bremen verwirklicht in diesem Jahr ein Riesenprojekt
auf Bear Familiy Records. Vier mal 2 CDs werden mit umfangreichen
Informationen über Bands, Musiker und Macher veröffentlicht. Vor mir
liegt Teil 1, auf der neben der Nina Hagen Band, der Spider Murphy Gang,
Spliff und Nena auch der KFC, Interzone, Morgenrot, Malaria und viele
andere teils für mich total unbekannte Bands zu finden sind.
Die Neue Deutsche Welle war ein Phänomen, das nicht nur in
Deutschland gefeiert wurde. Auch in England, den USA und Japan schaute
und hörte man genau hin, was sich da im Teutonenland so tat. Deshalb
auch an dieser Stelle diese Besprechung der NDW Compilation. Als ich
1996 beim Collegesender KUSF mit meiner Sendung anfing, nahm ich mir
Zeit durch das umfangreiche Vinylarchiv des Senders zu kramen. Und ich
wurde immer wieder fündig. Viele der mehr schrägen, ausgefallenen und
experimentierfreudigen Bands von damals konnte ich finden. Da waren Der
Plan, Palais Schaumburg, Wirtschaftswunder und zahlreiche andere. In
vielen Gesprächen mit KUSF DJs wurde mir deutlich gemacht, dass durch
diese Musik sich auch das Bild Deutschlands verändert hatte. Denn die
NDW entstand aus dem Punk, aus dem New Wave, aus dem Elektrogefrickel
und dem Industrial der 70er Jahre. Die Tschörmans kopierten nicht
einfach, was da wellenartig aus dem Ausland auf sie zu kam, sie schufen
etwas eigenständiges. Noch heute drehen sich diese Alben auf den
Plattentellern in Amerika. Und auch in Japan kriegt man davon nicht
genug. Suezan Records veröffentlicht immer wieder Liebhaberboxen mit 45er Singles der damaligen Bands.
Lange
Zeit fand diese Szene in Deutschland im Abseits statt, kaum beachtet
von den grossen Plattenfirmen, der Bravo und den wenigen Musiksendungen
auf den drei Fernsehprogrammen. Doch auch das geht auf die NDW zurück,
dass sich Musiker und Macher selbst organisierten, eigene Labels und
Vertriebe aufbauten, Fanzines produzierten, Auftrittsmöglichkeiten
schufen. Und irgendwann merkten die Majors dann auch, dass da Geld zu
machen ist und überfluteten den Markt mit allerhand Spritzi-Pop und
Gute-Laune-Musik.
Burghard Rausch schafft mit seinen Compilations den großen Blick auf
diese paar Jahre der musikalischen Aufbruchstimmung in Deutschland. Er
fängt nicht mit den ersten Charterfolgen an, konzentriert sich nicht auf
die von Bravo gehypten Starschnitte. Ganz im Gegenteil, Rausch blickt
auf die Clubs, die Kassettenszene, die Musiker, die mal hier, mal dort
spielten. Und er verfolgt ihre Wege bis heute. Es macht Spass all die
Hintergrundinfos zu lesen, musikalisch in die eigene Jugendzeit
einzutauchen und immer mal wieder zu merken “Mensch, stimmt, das war ja
auch noch da”.
“NDW – Aus grauer Städte Mauern. Die Neue Deutsche Welle 1977 – 85”
ist keine Partymischung, vielmehr ein umfangreiches Klangbild. Klar, da
sind die Hits zum Mitsingen, doch da ist viel mehr zu entdecken. Diese
Sammlung ist für all jene, die mehr wissen wollen, die Querverweise
lieben, die sich gerne mit musikalischen Wurzeln beschäftigen. Und ja,
ich singe hier gerade laut “Blaue Augen” von Ideal mit, all die Hits,
ich kann sie noch immer.
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