Various Artists – Wake Up You
Wenn man von der afrikanischen Musik spricht, dann denken die meisten wohl an traditionelle Sounds, an Weltmusik. Heutzutage strahlen die Radiostationen in vielen Metropolen auf dem afrikanischen Kontinent mehr folklorische Klänge oder Hip Hop aus. Umso erstaunter war ich, als ich am „Record Store Day“ auf eine Box bei Amoeba Records in Berkeley stieß, in der die Rockmusik Nigerias vorgestellt wird.
Die nigerianische Rockmusik der 70er Jahre wird in der CD und LP Box „Wake up you!“ vorgestellt.
Aktion heißt eine dieser Bands. Und sie kommt nicht aus England, den USA oder aus Deutschland. “Groove the Funk” wurde vielmehr 1975 in den EMI Studios in Lagos, Nigeria aufgenommen. Aktion ist Teil einer neuen CD und LP Box, die nun auf “Now Again Records” erschienen ist. “Wake Up You!” beschreibt eine lebendige, energiegeladene und hochkreative nigerianische Rockmusikszene am Anfang der 70er Jahre. Zu einer Zeit, in der sich das Land nach einem dreijährigen Bürgerkrieg, dem sogenannten Biafra-Krieg, langsam wieder erholte.
Zusammengestellt hat diese Sammlung der in Boston lebende DJ, Produzent und Musikhistoriker Uchenna Ikonne. Geboren in den USA wuchs er in den 80er Jahren in Nigeria auf: „Ich habe an einem Film gearbeitet, der in Nigeria in den 70er Jahren spielt. Dafür suchte ich nach Musik und kam mehr und mehr auf diese Rockmusik, von der ich begeistert war. Die meisten kannten sie gar nicht. Weder Leute außerhalb von Nigeria, noch in Nigeria selbst. Sie erinnerten sich nicht an diese Musik. Also dachte ich mir, es wäre interessant, das ganze wieder auszukramen.“
Die Musik Nigerias zu dieser Zeit vereinte die vielen Einflüsse des Westens. Rock, Funk, Soul, auch etwas Country und Folk. Und das vor dem Hintergrund der noch jungen Unabhängigkeit des Staates Nigeria, wie Ikonne erklärt: „Die Kulturnationalisten dachten, es wäre nicht sehr produktiv, wenn man nur die Musik nachahmen würde, die aus Amerika und England kommt. Aber, was nach dem Krieg, Anfang der 70er Jahre passierte, war, dass die Leute einen Weg fanden, um Rock mit lokalen Einflüssen zu bereichern. Das machte das ganze viel eigenständiger, als nur eine reine Kopie der ausländischen Musik.“
Teil 2 der umfangreichen nigerianischen Rockbox erschien ebenfalls als CD, LP oder als Download.
Nigeria war zu dieser Zeit auf dem Radarschirm der großen westlichen Plattenfirmen. Decca, Polydor und vor allem EMI investierten in den boomenden Musikmarkt Nigerias: „EMI war wirklich eine bedeutende Plattenfirma, die die Identität der nigerianischen Rockmusik mitformte. Denn als viele der Rock- und Pop-Bands in Nigeria nur das kopierten, was aus dem Ausland kam, drängten die EMI Produzenten ihre Künstler dazu, die Musik mit einheimischen Sounds zu verbinden. Rock und Funk angereichert mit lokalen, afrikanischen Elementen. EMI war dafür bekannt. Sie hatten diesen erkennbaren Sound, wenn es um Afro-Rock ging.“
Uchenna Ikonne sieht den brutalen Biafrakrieg im Land als einen Scheidepunkt für die Rockmusik Nigerias. „Der Bürgerkrieg hat die Entwicklung der Rockmusik in Nigeria aus mehreren Gründen beschleunigt. Zuvor war die populärste Musik, was man hier “Highlife” nannte. “Highlife” war keine ethnische Musik, sie war auch nicht an irgendeine ethnische Gruppe in Nigeria gebunden. Es war vielmehr Musik, die jeder mochte. Aber während des Krieges, mit den Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen, wurde “Highlife” kaum noch beachtet. Und da wuchs eine jüngere Generation heran, die lieber Soul und Rock hörte. Von daher hat der Krieg die Popularität der Rockmusik wohl beschleunigt.“
Und Rock war in diesen Nachkriegsjahren genau das richtige für eine Jugend, die sich ganz neu ausrichten mußte, meint Uchenna Ikonne: „Nach den Jahren der Gewalt wollten die Leute Musik hören, die schwerer war, mehr disharmonisch, die kraftvoll war, als das weiche “Highlife” und auch der weiche Soul, all das, was man vorher gehört hatte. Der Krieg hatte also einen großen Einfluß auf die Leute, sich der Rockmusik zu öffnen.“
Heute findet man in Nigeria kaum noch Spuren dieser nigerianischen Rockgeschichte. Auch deshalb sieht Uchenna Ikonne die Notwendigkeit für diesen historischen Rückblick.
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